Am letzten Pfingstwochende 2022 stellte sich unser Fahrer Sebastian Mayr aus Bonstetten einer ganz besonderen Herausforderung: dem Race across the Alps (RATA). Allein die Daten der Strecke beweisen in welcher Kategorie bei dieser Veranstaltung gedacht wird. Es sind nicht weniger als 525 km und 14.000 hm zurückzulegen – nonstop Tag und Nacht über die Creme de la Creme der Alpenpässe: Silfserjoch, Gavia, Mortirolo, Ablula, Fluela, Umbrail und Ofenpass. Wer schon einmal im Dunkeln eine solche Gebirgsstraße auch nur mit dem eigenen Auto bewältigt hat, weiß ungefähr was das auf dem Rad bedeutet. Entsprechend sind auch die Vorkehrungen: spezielles Briefing vor dem Rennen, verpflichtendes Begleitfahrzeug mit zwei Begleitern etc.

Einen ganz speziellen Blick auf dieses Event konnte Sebastian mit circa einer Woche Abstand zum Event im Interview geben.

RV Phönix: Hi Sebastian! Zu allererst muss natürlich die Frage stehen, wie du eig. zum Radrennsport im Allgemeinem und zum Race Across the Alps im Speziellen gekommen bist.

Sebastian: So richtig angefangen hat alles 2018, als ich mich erstmalig zum Ötztaler Radmarathon angemeldet habe. Seitdem betreibe ich den Sport etwas ambitionierter, sodass ich auch die Anzahl der Trainingsstunden nach und nach steigern konnte. Bis 2022 war „der Ötzi“ auch immer mein Saison-Highlight. Da mich das Thema Ultra Cycling aber schon immer interessiert hat, habe ich die Szene und das Rennen in den letzten Jahren beobachtet. Als die Terminfestlegung für das Jahr 2022 feststand und klar war, dass die diesjährige Ausgabe genau an meinem 40.Geburtstag startet, war der Entschluss klar.

Phönix: Wie hast du dich auf das Event vorbereitet und mit viel zeitlichen Invest muss man kalkulieren, wenn man auch einmal bei einem solchen Rennen an der Startlinie stehen möchte?

Sebastian: Leider bin ich aufgrund meiner Größe und meines Gewichts nicht der geborene Bergfahrer, aber umso mehr reizte mich die Herausforderung. Und sei es nur um herauszufinden, wie ich ein solches Event überleben würde. In Bezug auf das Training wollte ich nichts dem Zufall überlassen und meinen Körper bestmöglich auf Endurance trimmen. Im Schnitt bedeutet das zwischen 15 und 20 Trainingsstunden pro Woche. Mit circa diesem Aufwand sollte man als Startinteressierter auch rechnen.

Phönix: Wie hast du diese immense Trainingsbelastung in deinen normalen Alltag eingebaut?

Sebastian: Die Trainingseinheiten habe ich aufgrund beruflicher Verpflichtungen und meiner Familie inkl. 2 Kindern um alles andere herum legen müssen. So ging es oft schon morgens um 5 auf dem Hometrainer los. Watopia und Zwift kenne ich bald besser als die Straßen in meiner Umgebung.

Phönix: Konntest du dann auch entsprechende Fortschritte erzielen und warst du insgesamt zufrieden mit dem Formaufbau?

Sebastian: Insgesamt hatte ich zwei Leistungsdiagnostiken. Eine vor dem Winter im November und eine im April. Nahezu alle Werte sind in die richtige Richtung gegangen. Ich konnte meine FTP um 30 Watt steigern und gleichzeitig die Laktatbildungsrate um 30% senken. In Kombination mit einer gesteigerten VO2max war mein Körper perfekt auf langes Fahren bei tendenziell großer Belastung eingestellt. Natürlich muss man hier dann einige Abstriche vor allem im Bereich der Schnellkraft und bei kurzen Intervallen hinnehmen – die Spritzigkeit fehlt ganz einfach. Ebenfalls nicht ganz erreicht habe ich das Zielgewicht von 77 kg – weniger als 80 kg Startgewicht waren nicht drin.

Phönix: Auf was hast du in der Vorbereitung rund um das Thema sonst noch gezielt geachtet und gab es eine Generalprobe für dein Unterfangen?

Sebastian: Ich habe mir alle Folgen des Podcast „Sitzfleisch“ angehört und bin richtig in die Ultra Cycling Szene eingetaucht. Ebenfalls habe ich an meiner Ernährung geschraubt – rückblickend kann ich sagen, dass ich hier vor der Vorbereitung auf das RATA einiges seit Jahren falsch gemacht habe. Um den Körper genau auf die Belastungssituation im Rennen einzustellen, habe ich zwei Everestings auf Zwift absolviert – einmal an der Alpe du Zwift und einmal am virtuellen Mont Ventoux. Diese 9.000 bzw. 10.000 hm gaben mir einen Eindruck, wie sehr die Leistung mit der Zeit einbrechen kann.

Phönix: Neben dem persönlichen Training hast du sicher auch am Material gefeilt und auch hier nichts dem Zufall überlassen, oder?

Sebastian: Korrekt. Ich habe mir ein neues Rad speziell für diese Anforderungen aufgebaut. Da das RATA nun wirklich alles andere als flach ist, musste es ein reinrassiges Bergrad sein, welches schlussendlich so um die 6 kg auf die Waage brachte. Einige Teilnehmer berichteten mir, dass sie mit leichteren Rädern unterwegs sind, aufgrund meines Gewichts und der wirkenden Kräfte wollte ich das Thema Leichtbau nicht ausreizen.

Phönix: Es scheint, als wäre alles perfekt vorbereitet gewesen. Wie läuft dann eig. die Anmeldung für ein solches Event. Kann man sich hier, wie für jeden Radmarathon einfach anmelden?

Sebastian: Nein. Die Anmeldung geht immer individuell über den Veranstalter. Man muss eine Art Bewerbung inkl. Leistungsdaten und Ergebnissen einreichen und dann auf Annahme hoffen. In meinem Fall hat das geklappt. Das Startgeld beträgt 450 Euro.

Phönix: Bei der Veranstaltung ist ja ein Begleitfahrzeug vorgesehen. Wie bist du dieses Thema angegangen?

Sebastian: Der Veranstalter schreibt mind. zwei Personen im Begleitfahrzeug vor. Nachdem mir klar war, dass das auch für die Crew eine große Belastung werden würde, habe ich frühzeitig zwei Crews organisiert, welche abwechselnd eine Teilstrecke fahren würden. So brauchte ich insgesamt zwar vier Personen zur Begleitung, diese können sich die Belastung aber besser einteilen. Mit 3 Personen in einem Auto konnten wir aus Platzgründen leider nicht fahren.

Die Herausforderung besteht aber auch darin genügend positiv Verrückte zu finden, die ihre Zeit opfern, um freiwillig bei einer solchen Veranstaltung mit von der Partie zu sein. Inkl. schlafloser Nacht und den nicht unerheblichen Reisezeiten. Meine Crew bestand aus meinem Bruder, meinem Vater, meinem Schwager und meinem alten Hochschulprofessor. An dieser Stelle noch einmal ein dickes Dankeschön an alle vier! Vor dem Event hatte keiner von Ihnen so richtig Erfahrung mit dem Thema Ultra Cycling und auch nur einer konnte mit fundierten Rennradkenntnissen aufwarten.

Phönix: Wie lief die Kommunikation zwischen dir und deiner Crew? Hattet ihr irgendwelche besonderen Absprachen getroffen?

Sebastian: Wir hatten ein Funkgerät im Einsatz, welches von der Reichweite jedoch begrenzt war. Wenn das Auto in meiner unmittelbaren Nähe war, konnten wir jedoch sehr gut kommunizieren. Das reicht im Regelfall. Wir hatten das Rennen in drei Teilstücke unterteilt, sodass wir zweimal einen Crewwechsel vornehmen mussten. Die zweite Schicht war die kritischste, da diese während der Nacht eingeplant war und 235 km/7.000 hm zu absolvieren waren.

Phönix: Kommen wir zum Wesentlichen. Wie bist du in das Rennen reingekommen?

Sebastian: Wie das so ist bei solch großen Vorhaben gab es natürlich gleich zu Beginn ein paar Probleme mit dem Tracker, sodass wir nicht um 13 Uhr starten konnten. Mit etwas Verzögerung ging es dann gleich mit ordentlich Druck los. Direkt raus aus Nauders hatten wir Gegenwind, aber bereits am Stilfser Joch streckte sich das Feld und jeder fuhr sein Tempo. Ab dem Gavia setzte leider Starkregen ein, welcher zu allem Überfluss auch noch von Gewittern und Windböen begleitet wurde. Der Temperatursturz sorgte für Temperaturen um die 3 Grad, was sich jedoch aufgrund des Winds noch viel kälter anfühlte. Der Start war also schon mal alles andere als optimal.

Phönix: Ohje. Bergauf sind die Temperaturen wahrscheinlich noch irgendwie aushaltbar. Wie erging es dir in den folgenden Abfahrten?

Sebastian: Die Abfahrten waren grenzwertig. Zum einen ist die Straße bekanntermaßen nicht dies beste und zudem gibt es ja auch noch den unbeleuchteten Tunnel. Das hat leider dafür gesorgt, dass jegliches Gefühl aus Händen und Füßen verschwand. Die Bedienung der Bremshebel konnte somit nur noch rein visuell überprüft werden. Mitten in der Abfahrt musste ich feststellen, dass die Bremsleistung am Rad gegen null ging und wir mussten auf das Ersatzrad wechseln. Durch den kurzen Stopp konnte die Kälte richtig tief in meinen Körper kriechen und ich hatte einen kaum zu kontrollierenden Schüttelanfall. Ich war hier schon kurz davor aufzugeben, da ich nicht nur Krämpfe in Beinen und Bauch, sondern auch am Kiefer hatte.

Phönix: Vermutlich war das so früh aber noch keine Option?

Sebastian: Korrekt. Ich fuhr weiter und kam irgendwie gesund und heile unten an. Nur plötzlich gab der Akku für die Schaltung den Geist auf. Da auch der Ersatzakku bei diesen Bedingungen nicht wollte, konnte ich mit dem einzig funktionierenden Akku nur noch hinten schalten. Bis der andere Akku im Auto halbwegs geladen war, war dies die einzige Option. Ab dem Aprica Pass, war die Strategie dann bergauf mit dem defekten Bergrad ohne Bremswirkung zu fahren und bergab auf das andere Rad zu wechseln. Die Zeiten für den Wechsel sind hier vernachlässigbar.

Phönix: Das klingt nach reichlich Improvisationstalent, das ihr hier bewiesen habt. Konntet ihr diesen Plan dann weiter durchziehen?

Sebastian: Zunächst leider nicht so wirklich. Bei einem der Wechsel wurde das Schaltwerk am Ersatzrad beschädigt und ich konnte insgesamt nur noch 5 Gänge auflegen. Der leichteste Gang war 36-21, mit dem 52er Blatt waren nur die großen Ritzel 27 und 30 möglich. Vor dem Mortirolo waren die Räder also leider schon sehr in Mitleidenschaft gezogen und das RATA hatte gerade erst begonnen. Pünktlich zu Auffahrt zum Mortirolo meldete sich auch der Regen zurück. Aufgrund der Nässe sowie der auf der Straße befindlichen Verunreinigungen war es kaum möglich im Wiegetritt zu fahren. Oben dann wieder Radwechsel und Abfahrt zum Aprica.

Phönix: Wie habt ihr die Radwechsel dann weiterhin geregelt? Es gibt ja doch auch mal kurze Zwischenabfahrten auf den Passstraßen?

Sebastian: Wir haben in dieser Phase sehr oft die Räder gewechselt. Auch wenn es nur 700 m bergab geht, Sicherheit geht vor. Serpentinen ohne wirkliche Bremse sind einfach zu gefährlich. Auf dem Bernina Pass machte mir dann der Gegenwind zu schaffen, jedoch hörte es auf zu regnen und ich hatte auch keinerlei Probleme mit dem Schlafentzug. Also endlich positive Nachrichten.

Phönix: War das der psychologische Wendepunkt im Rennen?

Sebastian: Offenbar. Leider hat nur das Tracking nicht komplett mitgespielt, sodass wir nicht wussten wo genau im Rennen ich platzierungsseitig liege. Wir hatten keinerlei Abstände zu den Verfolgern oder Fahrern vor uns. Nach Bewältigung des Ofenpasses stand dann noch der Umbrailpass sowie das Stilfserjoch auf dem Programm. Hier hatte sich meine Crew im schweizerischen Münstertal leider verfahren, sodass ich die ersten 200 hm am Umbrail nicht mit dem Bergrad bestreiten konnte. Es war also eine „dicke Mühle“ angesagt. In der Abfahrt vom Stelvio in Richtung Prad konnte ich dann unbemerkt noch einen Fahrer überholen. Erst am Reschenpass bemerkten wir, dass er nach über 500 km Renndistanz nur 500 m hinter mir fuhr. Also hieß es nochmals alles aus dem eigenen Körper herauszuholen um nicht überholt zu werden. Dies ist mir gelungen und ich konnte Nauders als insgesamt Achtplatzierter nach 26h 59min erreichen. Wir hatten fast drei Stunden Standzeit aufsummiert an Ampeln, durch Radwechsel oder Pausen, viel Erfahrung gesammelt und die Erkenntnis, dass das noch schneller geht.

Phönix: Danke für diese Eindrücke. Was natürlich die entscheidende Frage ist, die allen im Kopf schwirrt: Wie sieht dein Fazit aus und wirst du das Race across the Alps nochmals in Angriff nehmen?

Sebastian: Man muss schon unfassbar viel Zeit ins Training investieren. Der Körper muss auf diese Belastung eingestellt werden. Ich hatte hier schon gute Voraussetzungen und habe mich aber trotzdem nochmal sehr gesteigert. Man darf auch die enormen Kosten rund um das Event nicht vergessen, wenn man so etwas zum ersten Mal angeht. Trotzdem werde ich mir das Rennen wahrscheinlich nochmal antun und auch andere Rennen in der „Ultracycling“-Kategorie bestreiten, sofern das Team mitmacht. Es war unterm Strich natürlich ein unbeschreibliches Erlebnis. Es zeigt, dass ohne ein funktionierendes Team ein Finishen des RATA nicht möglich ist, da kann man noch so viel trainiert haben.